Frauenbewegung

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Die Anfänge der modernen Frauenbewegung sind bürgerlich, denn es waren bürgerliche – zuweilen auch adelige – Frauen, die einerseits über die nötige Bildung verfügten und andererseits erkennen mussten, dass sie im Not- oder Unglücksfall, anders als Bäuerinnen oder Arbeiterinnen, nicht einmal in der Lage waren, sich und ihre Kinder zu ernähren.

Ihren Anfang fand die bürgerliche Frauenbewegung v.a. im frühindustriellen England und im revolutionären Frankreich. Als 1789 nach der Französischen Revolution die "Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte" verkündet wurde, war an eine Verbesserung der Lage der Frauen nicht gedacht worden. Die "femme de lettres" Olympe Marie de Gouges verfasste deshalb 1791 die "Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin", die sie der Nationalversammlung vorlegte. Darin forderte sie nichts weniger als die volle politische, ökonomische und rechtliche Gleichstellung der Frauen. Als sie sich jedoch auch dafür einsetzte, die Bürger frei über die künftige Regierungsform wählen zu lassen, wurde sie im Mai 1793 verhaftet und wenige Monate später öffentlich hingerichtet.

In Österreich war Karoline von Perin eine der Pionierinnen der bürgerlichen Frauenbewegung. 1848 gründete sie den "Wiener demokratischen Frauenverein", dessen Ziel nicht mehr die karitative Arbeit, sondern die Verbreitung des demokratischen Prinzips in allen weiblichen Kreisen und die Gleichberechtigung der Frauen im Bereich der Gesellschaft und der Bildung war. Nach der Niederwerfung der Revolution wurde jede weitere politische Aktivität jedoch verboten; Karoline von Perin wurde verhaftet, verlor ihr Eigentum und sogar das Sorgerecht über ihre Kinder.

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Die folgenden Jahrzehnte des Neoabsolutismus brachten die Frauenbewegung keinen Schritt weiter; die Wirtschaftskrise der sechziger Jahre des 19. Jahrhunderts führte jedoch zur Einsicht, dass die damalige Mädchenbildung keine geeignete Berufsvorbereitung darstellte. Um auch für bürgerliche Frauen ehrenhafte Verdienstmöglichkeiten zu schaffen, wurde der "Wiener Frauenerwerbsverein"gegründet, wurden Näh- und Strickstuben, Fortbildungsschulen und sogar eine Frauenhandelsschule eingerichtet. Das Spektrum beschränkte sich allerdings immer noch auf die Berufe Erzieherin, Kindergärtnerin und Krankenpflegerin.

1893 gründeten Auguste FickertMarie Lang und Rosa Mayreder schließlich den Allgemeinen Österreichischen Frauenverein und forderten die absolute staatsbürgerliche Gleichstellung der Frauen, ihre Zulassung zu allen Bildungsstätten und gleiche Berufsmöglichkeiten bei gleichem Lohn. Fickert, die 1895 auch die erste Frauenrechtsschutzstelle initiierte, arbeitete bereits eng mit den Sozialdemokraten zusammen und war auch publizistisch tätig.

In den 1899 gegründeten "Dokumenten der Frauen" schrieb Fickert: Diese Zeitschrift [...] ist allen kämpfenden Frauen gewidmet. Sei es der Kampf um des Lebens Nothdurft oder der Kampf um das höchste Gute des menschlichen Daseins, das Ringen nach Erkenntnis – er wird ohne Menschenfurcht und unermüdlich geführt werden. Alle, die mühselig und in harter Arbeit ihr tägliches Brot verdienen, sollen aus diesen Blättern Hoffnung und Erquickung schöpfen [...].

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In der proletarischen Frauenbewegung sahen sich die Frauen einer doppelten Ausbeutung und einer zusätzlichen Diskriminierung durch viele ihrer männlichen Genossen ausgesetzt. Tatsächlich forderten zahlreiche Sozialdemokraten ein Frauenarbeitsverbot, erstens, weil Frauenarbeit die Löhne drücke – tatsächlich bekamen Frauen für die gleiche Arbeit oft nicht einmal die Hälfte des Lohns–, und zweitens, weil sie der weiblichen Natur widerspreche.

Die Frauenrechtlerinnen hielten dem entgegen, dass die wirtschaftliche Unabhängigkeit der Frau ja die Vorraussetzung für die Beseitigung ihrer Unterdrückung darstelle. Bezeichnenderweise waren auch beim Gründungsparteitag der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei keine weiblichen Delegierten zugelassen. Die einzige weibliche Vertreterin, Anna Altmann, wurde mit dem Argument, dass die Frauen noch nicht so weit seien, abgewiesen.

Der Weg zur Gleichberechtigung innerhalb der Partei führte deshalb über die Bildungsvereine. 1890 wurde am Neubaugürtel der Arbeiterinnen-Bildungsverein gegründet. Jeden Samstag fanden hier Vorträge statt, und während der Woche wurden die Frauen ehrenamtlich von engagierten Lehrerinnen unterrichtet. 1893 wurde der Bildungsverein durch den Lese- und Diskutierclub Libertas abgelöst, der die gleiche Funktion erfüllte.

Ab 1892 erschien die Arbeiterinnen-Zeitung als Beilage zur Arbeiter-Zeitung. Ihre wichtigste Autorin und Redakteurin war die Pionierin der sozialistischen Frauenbewegung Adelheid Popp.

1893 kam es in Gumpendorf zum ersten von den Sozialistinnen organisierten Arbeiterinnenstreik. 700 Frauen demonstrierten dabei drei Wochen lang gegen die unwürdigen Arbeitsbedingungen. 

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Dennoch wurde den Genossinnen noch am Linzer Parteitag 1898 jede eigenständige politische Handlungsfähigkeit abgesprochen. Die Aufgabe der Frauen in der Partei sei es, durch Bewältigung der Alltagssorgen den Genossen die Ausführung ihrer politischen Pflichten zu erleichtern. In Partei und Gewerkschaft durften sie bestenfalls organisatorische Aufgaben übernehmen.

Erst 1902 gaben sich die sozialdemokratischen Frauen eine eigene Organisationsstruktur. Adelheid Popp, Gabriele ProftAnna Boschek und Amalie Seidel gründeten den Verein sozialdemokratischer Frauen und Mädchen, sehr zum Missfallen mancher Genossen.

Nach 1905, als die Durchsetzung des allgemeinen Männerwahlrechts näherrückte, wurde auch die Forderung nach der Einführung des Frauenwahlrechts laut.

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Obwohl diese Forderung seit dem Brünner Parteitag 1891 Teil des Programms der Partei war, blieben viele Genossen skeptisch. Zuerst müsse das Wahlrecht für Männer erkämpft und danach erst das Frauenwahlrecht gefordert werden.

Selbst Victor Adler meinte, es wäre eine politische Torheit, diesen Kampf [um das Männerwahlrecht] abzulenken auf einen Punkt, der voraussichtlich erst später zu erreichen sein wird, und riet 1903 zum "Taktieren": Wir müssen bei jeder Gelegenheit erklären, dass wir für das Frauenwahlrecht sind, dass wir auch den ersten Schritt auf diesem Gebiete machen wollen, aber dass der letzte Schritt erst gemacht werden kann, wenn der erste Schritt gemacht ist, und der ist: die Erkämpfung des Wahlrechtes für die Männer.

Bei den Wahlen im Mai 1907 gelang es der Sozialdemokratie erstmals, als stärkste politische Kraft mit 87 von insgesamt 516 Mandaten in den Reichstag einzuziehen.

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Die Frauen mussten allerdings noch mehr als ein Jahrzehnt auf ihr Wahlrecht warten. 1910 wurde anlässlich der Internationalen Sozialistischen Frauenkonferenz in Kopenhagen beschlossen, alljährlich einen Kampftag der Frauen zu begehen, der in erster Linie der Agitation für das Frauenwahlrecht dienen sollte. Der Internationale Frauentag, der heute noch am 8. März gefeiert wird, war damit geboren.

Auch im Bildungsbereich besserte sich die Situation nur langsam und allmählich: Erst 1901 erhielten Maturantinnen den Vermerk "Reif zum Besuch einer Universität". An philosophischen Fakultäten konnten sich Hörerinnen seit 1897 einschreiben, die Studien der Medizin und Pharmazie standen ihnen seit 1900 offen, die übrigen Fächer erst 1919.

Das Frauenwahlrecht wurde in Österreich 1918 eingeführt und kam 1919 erstmals zur Anwendung. Im März 1919 zogen acht Frauen ins Parlament ein, sieben sozialdemokratische Abgeordnete (Anna Boschek, Emmy FreundlichAdelheid PoppGabriele ProftTherese SchlesingerAmalie Seidel, Maria Tusch) und eine christlichsoziale (Hildegard Burjan).

Am 4. Mai 1919 fanden schließlich auch in Wien Gemeinderatswahlen nach dem neuen Wahlrecht statt. Insgesamt zogen 22 Frauen in den Gemeinderat ein. Die SDAP erreichte 100 von 165 Mandaten, 16 davon gingen an Sozialdemokratinnen: Aline Furtmüller (Landstraße), Amalie Seidel (Margareten), Marie Kramer (Mariahilf), Marie Vejvoda (Neubau), Rudolfine Fleischner (Alsergrund), Amalie Pölzer (Favoriten), Leopoldine Glöckel (Meidling), Anna Boschek und Adele Bartisal (Hietzing), Marie Bock (Rudolfsheim), Käthe Königstetter (Fünfhaus), Adelheid Popp (Ottakring), Gabriele Proft (Währing), Gisela Laferl (Döbling), Luise Appelfeld (Brigittenau) und Emmy Freundlich (Floridsdorf). In den Landtag wurden gewählt: Anna Kaff und Cäcilie Lippa.

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Was die rechtliche Gleichstellung der Geschlechter anbelangt, konnte einiges bereits in der Ersten Republik, das meiste allerdings erst in der Zweiten Republik umgesetzt werden. Seit 1919 existierte auch innerhalb der SDAP ein eigenständiges Frauenkomitee und ab 1920 organisierte die Partei "Frauenschulen" für weibliche Mitglieder und Funktionärinnen.

Das Ende der SDAP im Februar 1934 machte auch den Organisationen der sozialistischen Frauen ein Ende. Viele Genossinnen beteiligten sich aktiv am Widerstand, manche mussten ihr Engagement mit langen Gefängnisstrafen und einige sogar mit ihrem Leben bezahlen.

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Obwohl der Zweite Weltkrieg den Frauen einen – zum Teil auch ungewünschten – Emanzipationsschub gebracht hatte, brach in den 1950er Jahren für die meisten ein "neues Biedermeier" an. Den Umschwung brachten erst das Wirtschaftswunder mit seinem enormen Arbeitskräftebedarf, der technische Fortschritt sowie der gesellschaftliche Umbruch der sechziger Jahre – und, in Österreich, der Antritt der sozialdemokratischen Regierung Bruno Kreisky mit ihren weitreichenden gesellschaftspolitischen Reformen.

Im Januar 1971 legte Justizminister Christian Broda einen Entwurf für ein neues Strafgesetz zur Fristenregelung vor, das noch eine "Indikationenlösung" vorsah.

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Nach langen und hitzigen Diskussionen trat die Fristenregelung, nach der eine Schwangerschaft bis zum dritten Monat straffrei abgebrochen werden darf, 1975 schließlich in Kraft. Im selben Jahr wurde auch die Familienrechtsreform verabschiedet, die das patriarchalische Ehemodell durch ein gleichberechtigtes und partnerschaftliches ersetzte.

1977 wurde die Neuregelung des Kindschaftsrechts beschlossen, 1978 kam es zur Neuordnung des Güterrechts – mit weitreichenden Auswirkungen auf die Aufteilung des ehelichen Vermögens im Scheidungsfall–, und 1979 wurde das Gesetz über die Gleichbehandlung von Mann und Frau bei der Entlohnung beschlossen und eine Gleichbehandlungskommission eingerichtet.

Im selben Jahr bildete Bruno Kreisky seine Regierung um und schuf vier neue Staatssekretariate, die alle mit Frauen besetzt wurden. Auf die z.T. heftigen Reaktionen – auch innerhalb der eigenen Partei– meinte Kreisky in seiner unnachahmlichen Art: Bei der Todesstrafe und der Emanzipation der Frau darf man die Basis nicht fragen.

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Johanna Dohnal, die von Kreisky als Staatssekretärin für allgemeine Frauenfragen ins Bundeskanzleramt geholt worden war, stieg im Dezember 1990 zur ersten Frauenministerin Österreichs auf.

Seither wurde manches erreicht – und vieles bleibt noch zu tun.

In den Jahren der ÖVP-dominierten Bundesregierung lief einiges verkehrt; so etwa wurde die Abschaffung des von Bruno Kreisky geschaffenen Frauenministeriums im Jahr 2000 von vielen engagierten Frauen als ein Affront empfunden. Nach Antritt der Bundesregierung unter Bundeskanzler Alfred Gusenbauer Anfang 2007 gab es mit Doris Bures wieder eine Frauenministerin.

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Diese wurde gegen Ende der Regierung Gusenbauer von Heidrun Silhavy abgelöst. Unter der Regierung von Bundeskanzler Werner Faymann übernahm das Amt die Niederösterreicherin Gabriele Heinisch-Hosek. Sie wurde im Juni 2009 auch Vorsitzende der SPÖ Frauen Österreichs, eine Funktion die zuvor Nationalratspräsidentin Barbara Prammer 12 Jahre lang innehatte.

Unter der Regierung von Bundeskanzler Christian Kern wechselten die Frauenagenden mehrmals: Interimistisch für Frauenfragen zuständig war Bildungsministerin Sonja Hammerschmid (18. Mai bis 30. Juni 2016), von 1. Juli 2016 bis 23. Februar 2017 war Sabine Oberhauser Bundesministerin für Gesundheit und Frauen, ihr folgte interimistisch Alois Stöger (24. Februar bis 7. März 2017). Ab 8. März 2017 war Pamela Rendi-Wagner Bundesministerin für Gesundheit und Frauen (bis 18. Dezember 2017).

In Wien ist gegenwärtig Kathrin Gaál Stadträtin für Frauenfragen, Marina Hanke Vorsitzende der Wiener SPÖ Frauen und Nicole Berger-Krotsch Wiener SPÖ Frauensekretärin.

Literatur: Harriet Anderson, Utopian feminism – women's movements in "fin-de-siècle" Vienna, 1992; Marie-Luise Angerer (Hrsg.), Auf glattem Parkett. Feministinnen in Institutionen, 1991; Eva-Maria Barth, Die Frauenbewegung in Frankreich, England, Deutschland, USA und Österreich – damals und heute, 1986; Günter Bischof, Women in Austria, 1998; Heidemarie Dawari-Dehkordi, Die österreichische Frauenbewegung von ihren Anfängen bis zur Gegenwart, 1982; Gabriella Hauch, Vom Frauenstandpunkt aus. Frauen im Parlament 1919 bis 1933, 1995; dies., Frauen bewegen Politik. Österreich 1848-1938, 2009; Tamara Kapeller, Die Frau im Österreich des 20. Jahrhunderts mit besonderer Berücksichtigung der Jahre 1970–1995, 1996; Irmtraut Karlsson (Hrsg.), Frauen in Bewegung – Frauen in der SPÖ, 1998; Susanne Pollinger, Das FrauenVolksBegehren, 1998; Christa Vogt, Frauenemanzipation und Reformismus. Untersuchungen zur Kritik der Frühgeschichte der sozialdemokratischen Frauenbewegung in Österreich im Kontext der sozialistischen Frauenemanzipationstheorien, 1977.