Sozial­demo­kratische Arbeiter­partei (SDAP)

Sdap_head_

S

Eine erste sozialdemokratische Parteigründung fand bereits 1874 in Neudörfl bei Wiener Neustadt statt, allerdings kam es in den folgenden Jahren zur behördlichen Unterdrückung der jungen Arbeiterbewegung und zu ihrer Spaltung in gemäßigte und radikale Gruppen. Erst zum Jahreswechsel 1888/89 konnte Victor Adler auf dem Hainfelder Parteitag eine Einigung der verschiedenen Fraktionen erreichen. Die neue Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SDAP) hatte ihre Schwerpunkte im Raum Wien und in den Industriegebieten Niederösterreichs, der Steiermark sowie in Böhmen und Mähren und trat der Zweiten Internationale bei.

SDAP_Gruendungsvaeter_VGA

1890 wurde erstmals auch in Österreich der 1. Mai als internationaler Kampftag der Arbeiterbewegung begangen. Eines der wichtigsten Ziele war die Erringung des allgemeinen Wahlrechts. Zur Vorbereitung einer Beteiligung bei Wahlen entstanden bald zahlreiche lokale Wahlvereine, die sich auf die bereits existierenden Arbeiterbildungsvereine stützen konnten. Eine wichtige Rolle spielten dabei auch die Gewerkschaften und die zahlreichen Vorfeldorganisationen, v.a. aber die sozialdemokratische Presse, allen voran die Arbeiter-Zeitung.

Nach der Wahlrechtsreform von 1897 verfügten die Sozialdemokraten immerhin bereits über 14 Abgeordnete. Nach Einführung des allgemeinen Wahlrechts (für Männer) im Jahr 1907 erhöhte sich die Zahl der sozialdemokratischen Abgeordneten auf 87 (davon 49 deutschsprachige); die SDAP war damit die zweitstärkste Gruppe im Abgeordnetenhaus.

R_TF_Adler_vorGericht_VGA

Die Partei bekannte sich zwar weiterhin zum Internationalismus, ihre Führung unterstützte allerdings bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs die staatliche Kriegspolitik. Diese parteiintern von vielen kritisierte Haltung änderte sich erst im Verlaufe des Krieges, v.a. nach dem Attentat von Friedrich Adler auf Ministerpräsident Stürgkh am 21. Oktober 1916. Im letzten Kriegsjahr gewann der pazifistische Flügel schließlich die Oberhand.

Nach dem Zusammenbruch der Monarchie übernahm die SDAP eine führende Rolle bei der Gründung Deutschösterreichs – allerdings mit z.T. stark divergierenden Zielsetzungen. So etwa traten einige führende Sozialdemokraten, darunter auch Parteichef Otto Bauer, vehement für einen Anschluss Österreichs an ein demokratisches Deutschland ein.

SDAP_Deutschoesterreich_TF_BO15_2

In der "Provisorischen Nationalversammlung" stellten die Sozialdemokraten vorerst nur 39 Abgeordnete, gegenüber 70 christlichsozialen und 101 deutschnationalen.

In der im Februar 1919 – erstmals mit Beteiligung von Frauen – gewählten Konstituierenden Nationalversammlung war die SDAP mit 72 von 170 Abgeordneten erstmals stärkste Fraktion. Karl Seitz wurde Präsident der Nationalversammlung und damit bis Ende 1920 auch erstes Staatsoberhaupt der Ersten Republik.

Die SDAP war bis Juni 1920 an der Regierung beteiligt; während dieser kurzen Zeit entstanden unter der Ägide von Ferdinand Hanusch vorbildliche Sozialgesetze und durch Otto Glöckel weit in die Zukunft weisende Initiativen im Bildungswesen.

Seitz_TF_OEGB_ArchivDas Ende der Koalitionsregierung und damit auch der sozialdemokratischen Regierungsbeteiligung trug wesentlich zur Verschärfung der politischen Gegensätze während der Ersten Republik bei. In Wien – und in den meisten anderen großen Städten und Industriegemeinden – besaß die SDAP weiterhin die Mehrheit und stellte hier eine deutliche Alternative zur Politik der konservativen Bundesregierung dar.

Die Maßnahmen des "Roten Wien" im Wohnungs- und Sozialbereich erregten weltweites Aufsehen, und auch im Bereich der Bildung, der Kultur und des Sports trachtete die Sozialdemokratie danach, eine eigenständige "proletarische Kultur" als Gegenentwurf zur bürgerlichen Gesellschaft zu entwickeln.
 
Die zunehmende Radikalisierung der politischen Verhältnisse führte 1923 zur Gründung des Republikanischen Schutzbundes, einer paramilitärischen Organisation mit starker Bewaffnung. Auch programmatisch setzte sich mit dem Linzer Programm von 1926 die radikalere Gruppe um Otto Bauer gegenüber der gemäßigteren und konsensorientierten Fraktion um Karl Renner durch. Erster blutiger Höhepunkt der Konfrontation mit der Staatsgewalt war die sogenannte Julirevolte in Folge des Schattendorfer Prozesses am 15. Juli 1927.
 
Bei den letzten Nationalratswahlen der Ersten Republik am 9. November 1930 wurde die SDAP mit 41,1% der Stimmen und 72 Mandaten zwar stärkste Fraktion – die Christlichsozialen verloren 7 Mandate an die kandidierende Heimwehrbewegung "Heimatblock" –, blieb allerdings weiterhin in Opposition.
 
TF_Sturmangriff_Goethehof_VGA5Auf christlichsozialer Seite setzten sich die radikalen Kräfte um die faschistischen Heimwehren zunehmend durch. Die Ausschaltung des Parlaments durch Bundeskanzler Dollfuß am 4. März 1933 und die immer stärkere Unterdrückung der SDAP mündete schließlich in den Februarkämpfen des Jahres 1934 und im Bürgerkrieg; nach der Niederlage der Sozialdemokraten kam es zum Verbot der Partei, zur Verhaftung der meisten Funktionäre, zur Aberkennung aller Mandate und zur Auflösung sämtlicher, der Sozialdemokratie nahestehender, Organisationen.

Die sozialdemokratische Führungsriege um Otto Bauer, der die Flucht ins Ausland gelungen war, richtete in Brünn ein Auslandsbüro ein, das wöchentlich eine Exilausgabe der Arbeiter-Zeitung herausgab, die nach Österreich geschmuggelt wurde. In Österreich setzten die illegalen Revolutionären Sozialisten, die sich aus Funktionären der mittleren und unteren Ebene rekrutierten, bis zur Machtübernahme der Nationalsozialisten den Kampf gegen das autoritäre austrofaschistische Regime fort.

Die Partei wurde sofort nach Kriegsende am 14. April 1945 als Sozialistische Partei Österreichs mit den Zusatz "Sozialdemokraten und Revolutionäre Sozialisten" im Wiener Rathaus wiedergegründet.
 

Literatur: Rainer Bauböck, Wohnungspolitik im sozialdemokratischen Wien 1919-1934, 1979; Peter Pelinka, Sozialdemokratie in Österreich. 100 Jahre seit Hainfeld. Die Entwicklung einer Bewegung von Victor Adler bis Franz Vranitzky, 1988; Markus Pelzl, Die politischen Lager der Sozialdemokraten und Christlichsozialen in der ersten Republik Österreich. Ihre Ideologien, Strukturen, Verhältnis zueinander und das Ende des Gleichgewichts der Klassenkräfte 1927, 1997; Walter Pollak, Sozialismus in Österreich. Von der Donaumonarchie bis zur Ära Kreisky, 1979; Peter Schöffer, Der Wahlrechtskampf der österreichischen Sozialdemokratie 1888,89-1897. Vom Hainfelder Einigungsparteitag bis zur Wahlreform Badenis und zum Einzug der ersten Sozialdemokraten in den Reichsrat, 1986.

Fotos