Schattendorf

S

Das politische Klima im Bezirk Mattersburg war – gemessen an den Maßstäben der damaligen Zeit – relativ ruhig, bis im Jahr 1926 der rechtsgerichtete Österreichische Frontkämpferverband in vielen Ortschaften des Burgenlandes begann, Ortsgruppen zu gründen. Die Frontkämpfervereinigung bezog finanzielle und materielle Unterstützung – inklusive Waffen – von der ultrarechten ungarischen Horthy-Regierung. Gewalttätige Auseinandersetzungen waren also nur eine Frage der Zeit. Schon im Mai 1926 kam es nach einer Versammlung der Frontkämpfervereinigung in Wiesen zu Schlägereien zwischen Frontkämpfern und sozialdemokratischen Arbeitern. Wenig später begann der planmäßige Aufbau des Republikanischen Schutzbundes im Burgenland.

Als die Frontkämpfer für den 30. Januar 1927 eine Versammlung in Schattendorf ankündigten, wollte die Bezirksführung des Republikanischen Schutzbundes unter dem als radikal bekannten Thomas Preschitz diese neuerliche "Provokation" nicht hinnehmen und setzte für den selben Tag eine nicht angemeldete Schutzbundversammlung an. Bereits im Laufe des Tages kam es im Ort zu mehreren Schlägereien. Die hoffnungslos in der Minderheit befindlichen Frontkämpfer zogen sich schließlich unter dem Geleitschutz von Gendarmen Richtung Mattersburg zurück. Der Schutzbund hatte das Feld behauptet, und am späteren Nachmittag marschierten die Schutzbundkolonnen triumphierend in den Ort zurück.

Als sie beim Gasthof Tscharmann vorbeikamen, in den sich die einheimischen Frontkämpfer – darunter auch die beiden Söhne des Wirtes – versammelt hatten, wurden Drohrufe laut, dann flogen Steine gegen das Haus. Während Josef Tscharmann einige Schüsse abgab, um die in den Hof und in die Küche eingedrungenen Schutzbündler zu vertreiben, feuerten Hieronimus Tscharmann und sein Schwiegersohn Johann Pinter vom Fenster aus auf die Straße. 

TF_Protestmarsch_VGA8

Dabei wurden mehrere Personen z.T. erheblich verletzt, zwei jedoch waren sofort tot: den kriegsinvaliden Matthias Csmarits aus Klingenbach traf eine Schrotladung in den Nacken, der siebenjährige Schüler Josef Grössing starb an einem Herzschuss.

Das landesweite Echo auf die Schattendorfer Bluttat war gewaltig. In den meisten Fabriken Wiens kam es zu Protestkundgebungen, in mehreren Großbetrieben Wiens und des Wiener Neustädter Gebietes auch zu spontanen Streiks.

Am 2. Februar 1927, dem Tag des Begräbnisses der beiden Opfer, wurde in ganz Österreich ein 15 Minuten langer Generalstreik abgehalten. Tags darauf kam es zu einer tumultartigen Nationalratssitzung und schweren gegenseitigen Beschuldigungen zwischen konservativer Regierung und sozialdemokratischer Opposition.

Die Täter von Schattendorf konnten rasch ermittelt und vor Gericht gestellt werden. Der Prozess fand im Sommer 1927 statt und endete am Abend des 14. Juli mit dem völlig unerwarteten Freispruch der Beklagten. Tags darauf kam es zu Demonstrationen sozialdemokratischer Arbeiter aus den Wiener Außenbezirken vor dem Justizpalast, die schließlich in einem beispiellosen Massaker endeten. Im historischen Rückblick wird klar, dass die Schattendorfer Ereignisse den Auftakt zum Untergang der Ersten Republik darstellten.

Literatur: Ute Bauer, 30. Jänner 1927. Der Zusammenstoß von Schattendorf, 1995; Josef Hindels, 15. Juli 1927. Niemals vergessen!, 1977; Norbert Leser und Paul Sailer-Wlasits (Hrsg.), 1927 – als die Republik brannte. Von Schattendorf bis Wien, 2002; Karin Masek, Schattendorf und der Justizpalastbrand 1927 im Spiegel der Wiener Tagespresse, 2004.