Breitner, Hugo

9.11.1873, Wien – 5.3.1946, Claremont (USA)

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Unbeirrt von all dem Geschrei der steuerscheuen besitzenden Klassen holen wir uns das zur Erfüllung der vielfachen Gemeindeausgaben notwendige Geld dort, wo es sich wirklich befindet. 

Hugo Breitner war der Sohn eines Börserats und trat 1894 in den Dienst der Länderbank ein. Zu dieser Zeit war er auch als Kunst- und Musikkritiker, als Lokalberichterstatter beim "Neuen Wiener Journal" und bei der "Neuen Freien Presse" sowie als Herausgeber der "Wiener Kunstkorrespondenz" tätig.

Daneben fand Breiter noch Zeit, durch die Umwandlung des "Klubs der Beamten der Wiener Bank- und Kreditinstitute" in den "Reichsverein der Bank- und Sparkassenbeamten Österreichs" den österreichischen Bankbeamten in den Jahren 1906/07 eine schlagkräftige gewerkschaftliche Organisation zu geben. Von 1907 bis 1911 fungierte er als Vizepräsident dieses Vereins und übernahm die Redaktion der Vereinszeitschrift "Der österreichische Bankbeamte", die unter seiner Leitung zu einem wichtigen Kampf- und Fachorgan für die Interessen der österreichischen Bankbeamten wurde.

Trotz seiner gewerkschaftlichen Tätigkeit wurde Breitner 1910 zum Prokuristen der Länderbank ernannt; 1914 wurde er Direktorstellvertreter und 1917 sogar Direktor. Meinungsverschiedenheiten über die verfehlte Bankpolitik der Länderbank führten 1918 zu seiner frühzeitigen Pensionierung.

Nachdem Hugo Breitner vorübergehend mit der Idee gespielt hatte, eine eigene Beamten- und Angestelltenpartei zu gründen, trat er 1918 der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei bei, in der man bald seine Talente als Finanzsachverständiger erkannte. Anfang Dezember 1918 wurde Breitner Mitglied der provisorischen Gemeindevertretung; 1919 wurde er in den Gemeinderat und anschließend zum Amtsführenden Stadtrat für Finanzen gewählt.

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Nach der Loslösung Wiens von Niederösterreich im Jahr 1922 konnte die sozialdemokratische Stadtverwaltung darangehen, ihre eigenständige Reformpolitik zu verwirklichen. Die finanzielle Grundlage für das Aufbauwerk des "Roten Wien" legte Finanzstadtrat Hugo Breitner mit einem sozial gestaffelten Steuersystem. Zunächst schaffte er die Mietzinssteuer ab, die alle Mieten mit dem gleichen Steuersatz belastete, und führte statt dessen eine neue Mietzinssteuer ein, die nur die obersten 20% der Mieten betraf.

Da die Einnahmen für die Finanzierung des ehrgeizigen Wohnbauprogramms nicht ausreichten, entwickelte Breitner gemeinsam mit Robert Danneberg 1923 die Wohnbausteuer. Diese betraf zwar alle Mietverhältnisse, war jedoch extrem progressiv: 82% aller Wohnungen erbrachten zusammen nur etwa 22% der Wohnbauabgabe, während die teuersten 0,5% der Wohnungen 45% der Einnahmen einbrachten.
Insgesamt deckten die Einnahmen aus der neuen Wohnbausteuer etwa ein Drittel der Wohnbaukosten, der Rest kam aus dem allgemeinen Budget.

Mit Hilfe der Wohnbausteuer wurden in Wien zwischen 1923 und 1934 über 64.000 neue Wohnungen geschaffen – ein gewaltiger Kraftakt, um die unvorstellbare Wohnungsnot zu lindern und den einkommensschwachen Bevölkerungsschichten ein leistbares Wohnen zu ermöglichen.
Die neuerrichteten Gemeindewohnungen waren zwar aus heutiger Sicht ziemlich klein, die kollektive Versorgung – vom Kindergarten bis zur Wäscherei, vom Vereinslokal bis zum Konsumladen – war jedoch flächendeckend.

Auf sanitäre, soziale und kulturelle Bedürfnisse wurde in ganz besonderem Maße geachtet: Bibliotheken, Kindertagesheime, Kindergärten, Schulen, Zahnkliniken, öffentliche Schwimmbäder und Kinderfreibäder wurden in oder in nächster Nähe der kommunalen Wohnbauten geschaffen. Es gab Lehrlingsheime, Mutterberatungsstellen, Säuglingswäschepakete, Kinderausspeisungen – all das gehörte zum "Neuen Wien".

Um all dies zu ermöglichen, wurden bald noch andere, sozial gestaffelte "Breitnersteuern" eingeführt. So etwa ersetzte Breitner die "Verzehrsteuer", die alle Lebensmittel gleich belastete, durch eine Nahrungs- und Genussmittelabgabe, die nur bestimmte Geschäfte und Lokale zu entrichten hatten. Zur Kassa gebeten wurden 250 von über 22.000 Lebensmittelgeschäften, 32 von etwa 1.200 Kaffeehäusern und 700 von insgesamt 3.600 Gaststätten.

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Breitner selbst erläuterte sein neues Steuersystem einmal – etwas provokativ – folgendermaßen: Die Betriebskosten der Schulzahnkliniken liefern die vier größten Wiener Konditoreien [...] Die Schulärzte zahlt die Nahrungsmittelabgabe des Sacher. Die gleiche Abgabe vom Grand-Hotel, Hotel Bristol und Imperial liefert die Aufwendungen für die Kinderfreibäder. Das städtische Entbindungsheim wurde aus den Steuern der Stundenhotels erbaut und seine Betriebskosten deckt der Jockey-Klub mit den Steuern aus den Pferderennen. 

Luxus und Vergnügen zu besteuern, um die Aufziehung eines körperlich gesunden, geistig freien, lebenstüchtigen und lebensfrohen Geschlechtes zu ermöglichen, ist der Grundgedanke der sozialdemokratischen Gemeindepolitik, hieß es – etwas weniger pointiert und polemisch – in einer Werbebroschüre der Stadt Wien.

Von Breitners Steuerpolitik waren demnach v.a. diejenigen betroffen, die es sich leisten konnten, Nachtlokale, Bars, Bordelle, Kabaretts, Pferderennen oder auch Boxkämpfe zu besuchen, die bereits ein Auto besaßen, sich Rennpferde hielten und in Luxuswohnungen lebten – kurz, das wohlhabende Bürgertum und die Neureichen.

Kein anderer Sozialdemokrat wurde deshalb derart heftig und gehässig angegriffen wie Hugo Breitner. Während einer Wahlkampfrede am Heldenplatz rief der christlich-soziale Heimwehrführer und österreichische Innenminister Ernst Rüdiger Starhemberg 1930 aus: Den Wienern werde ich ein gutes Rezept für den Wahlkampf geben: Sie sollen die Wahlschlacht im Zeichen Breitners führen. Nur wenn der Kopf dieses Asiaten in den Sand rollt, wird der Sieg unser sein. Das Wort "Asiate" war eine klare Anspielung auf Breitners "jüdische Herkunft".

Gesundheitlich angeschlagen und angesichts der persönlichen Angriffe auch amtsmüde, legte Hugo Breitner im November 1932 sein Amt als Finanzstadtrat zurück. Sein Nachfolger wurde Robert Danneberg, der ein schweres Erbe übernehmen musste, weil die konservative Bundesregierung die Finanzhoheit der Stadt Wien immer stärker einengte. Breitner selbst übernahm die Leitung der Zentralsparkasse der Gemeinde Wien.

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Am 12. Februar 1934 wurde Hugo Breitner verhaftet, jedoch nach kurzer Zeit wieder freigelassen. 1936 übersiedelte Breitner nach Florenz und 1939 weiter in die USA. In der Emigration war er Mitglied des Austrian Labor Committee und der "Austrian Labor Information" und zuletzt Dozent für Städtewesen an der Universität Claremont in Kalifornien. Kurz vor seiner geplanten Rückkehr nach Wien starb Hugo Breitner im Alter von 71 Jahren. Seine Witwe Therese Breitner brachte im August 1950 seine Urne aus den USA nach Wien, wo sie in einem Ehrengrab am Wiener Zentralfriedhof feierlich beigesetzt wurde.

Im November 1950 beschloss der Wiener Stadtsenat, Hugo Breitner, Julius Tandler und dem im KZ ermordeten Robert Danneberg eine gemeinsame Begräbnisstelle im Urnenhain zu widmen.

Die in den Jahren 1949 bis 1956 errichtete Wohnhausanlage, 14., Linzer Straße 299-325, wurde Hugo-Breitner-Hof benannt. Am 22. Juni 1957 wurde hier eine von Siegfried Charoux geschaffene Gedenkbüste für Hugo Breitner von Bürgermeister Franz Jonas enthüllt: Was spätere Jahre mit dem Namen "sozialer Lastenausgleich" bezeichnet haben, das hat Hugo Breitner Jahrzehnte vorher in der Praxis bereits durchgeführt.

Breitner_Hof_TF_Digi1951 wurde im Sitzungssaal der Städtischen Versicherung die Hugo Breitner-Gesellschaft zur Förderung künstlerischen Nachwuchses gegründet. Die Tätigkeit der Gesellschaft umfasste die Bezahlung von Studienplätzen an künstlerischen Lehranstalten, Unterstützungen bedürftiger und begabter Kunststudenten, die Überlassung von Instrumenten und Studienmaterial, die Vermittlung von Kost- und Wohnplätzen und den Studenten-Austausch mit ausländischen Lehranstalten.

Die ersten Präsidenten dieser Gesellschaft waren Bürgermeister Theodor Körner und Vizebürgermeister Karl Honay.

Werk: Kapitalistische oder sozialistische Steuerpolitik – wer soll die Steuern bezahlen?, 1926; Seipel-Steuern oder Breitner-Steuern? Die Wahrheit über die Steuerpolitik der Gemeinde Wien, 1927; Österreich und die Schweiz – Vergleich und Ausblick, 1944.
Literatur: Wolfgang Fritz, Der Kopf des Asiaten Breitner. Politik und Ökonomie im Roten Wien, 2000; Wolfgang Maderthaner, Hugo Breitner, Julius Tandler – Architekten des Roten Wien, 1997; Gerhard Reisinger, Die Finanzpolitik Hugo Breitners, 1990; Herwig Würtz, Hugo Breitner. 70 Jahre Plakatsammlung der Wiener Stadt- und Landesbibliothek, 1993.