Hammerbrotwerke

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Brot war Ende des 19. Jahrhunderts das Hauptnahrungsmittel der breiten Massen und für die aufstrebenden Konsumgenossenschaften das wichtigste Produkt in Hinblick auf die angestrebte Eigenproduktion. Gleichzeitig stellte die Errichtung von Brotfabriken ein wichtiges Symbol für den Aufstieg und die Stärke der proletarischen Verbrauchergenossenschaften dar.

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Schon seit den frühen neunziger Jahren existierte die "Erste Wiener Arbeiter-Bäckerei", die einige Konsumvereine, darunter auch den Ersten Niederösterreichischen Arbeiter-Konsumverein belieferte.

Die häufigen Tarifkonflikte und Streiks, die in der Regel auch mit Boykottaufrufen gegen die meist im 10. Bezirk angesiedelten kommerziellen Großbäckereien verbunden waren, verstärkten die Forderungen nach Errichtung einer eigenen großen Genossenschaftsbäckerei. Am 6. Januar 1898 beschloss die Generalversammlung des Ersten Niederösterreichischen Arbeiter-Konsumvereins deshalb die Errichtung einer eigenen Bäckerei, die allerdings den Brotbedarf der wachsenden Arbeiterschaft auch nur zu einem geringen Teil decken konnte.
In den Jahren nach 1900 löste ein "Jahr der Teuerung" (mit steigenden Haushaltskosten um die 15%) das nächste ab.

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Bei den untersten Einkommensschichten verschlangen die Ausgaben für Ernährung bis zu 65% des Einkommens, bei etwas besser gestellten Arbeitern immer noch 45% bis 50%. Dies bedeutete, dass – eingedenk der notwendigen Ausgaben für Kleidung, Wäsche etc. in gleicher Höhe – kaum mehr etwas für andere Bedürfnisse (wie Bildung oder Gesundheit) zur Verfügung stand, und selbst die Handelskammern beklagten, dass die mittleren und unteren Schichten über keine finanziellen Mittel für einen darüber hinaus gehenden Konsum zur Verfügung hätten.

Im September 1906 stellte Benno Karpeles schließlich sein ehrgeiziges Projekt der "Nährmittelwerke" vor, die auf modernste Weise Brot und Weißgebäck herstellen sollten.

Die christlichsoziale Fraktion im Gemeinderat lief gegen das "Karpeles-Projekt" sofort Sturm und verhinderte vorerst den Bau. Erst eine Beschwerde der Sozialdemokraten beim Verwaltungsgerichtshof führte zu einer Aufhebung des negativen Gemeinderatsbescheides. Die Brotfabrik konnte gebaut werden, allerdings nicht wie geplant in Favoriten, sondern in Schwechat – was die zusätzliche Errichtung einer eigenen Mühle erforderlich machte und zu Mehrkosten in Millionen-Kronen-Höhe führte.

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Die nach Plänen der Architekten Franz und Hubert Gessner errichtete Brotfabrik wurde nach nur einjähriger Bauzeit am 20. Juni 1909 eröffnet. Es war eine Anlage der Superlative, modern, hygienisch und menschenfreundlich. Der Kornsilo fasste 250 Waggons Getreide, die Mühle konnte 10 Waggons Getreide pro Tag verarbeiten, und in der Brotfabrik gab es Knetmaschinen für eine Tagesleistung von 75.000 kg Teig. Die Eröffnung der Brotfabrik war deshalb auch eine riesige propagandistische Veranstaltung mit tausenden Festgästen.

Hier sollten, wie ein Festredner betonte, die Geschosse fabriziert [werden], mit denen von heute ab Wien bombardiert werden soll

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Gleichzeitig war dieses auf Expansion ausgerichtete Projekt mit seiner aggressiven Werbe- und Verkaufsstrategie eine Kampfansage an die Bäckerei des Ersten Niederösterreichischen Arbeiter-Konsumvereins.

Bald entstanden eigene Verkaufstellen, außerdem war das Hammerbrot in allen Filialen des Konsumvereins "Vorwärts" erhältlich, aber auch – zum großen Missfallen der übrigen Arbeiterkonsumvereine – bei privaten Greislern. Die roten "Orion"-Autos belieferten insgesamt 1.000 Verkaufsstellen.

Die Wiener Hammerbrotwerke, deren Enblem ein roter Hammer in rotem Ährenkranz war, zeigten bald nach ihrer Errichtung, welche Probleme mit einer solchen Großinvestition verbunden waren.

Vor allem der Transport erwies sich als problematisch und kostenintensiv. Besonders deutlich wurde dies, als der mit den Hammerbrotwerken eng verbundene Konsumverein "Vorwärts" nach zu rascher Expansion in erhebliche Schwierigkeiten geriet.

Es war eine seltsame Ironie der Geschichte, dass gerade die sozialdemokratischen Hammerbrotwerke vom Ausbruch des Ersten Weltkriegs profitierten, als man mit der Produktion von Militär-Zwieback begann und erstmals wieder schwarze Zahlen schreiben konnte.

Zur Deckung des erhöhten Bedarfs pachteten die Werke während des Krieges 24 kleinere Bäckereien in Wien und nahmen auch den Handel mit Nahrungsmitteln auf.

1919 eröffnete das Unternehmen eine zweite Großbäckerei in Floridsdorf, deren Kapazität jene in Schwechat noch übertraf, und wenig später ein drittes Werk in der Leopoldstadt.

1923 erfolgte die Umwandlung der Hammerbrotwerke (30 Filialen und rund 1.400 Mitarbeiter) in eine Aktiengesellschaft; die Wirtschaftskrise der späten zwanziger Jahre erzwang eine Reduktion auf rund 700 Beschäftigte. 1937 wurden die Wiener Kronenbrotwerke in Favoriten übernommen und stillgelegt.

Die Hammerbrotwerke gelangten nach mehrfachem Besitzerwechsel an die Schoeller-Gruppe, die die Produktion 1959 im Floridsdorfer Werk konzentrierte und schließlich eine Fusion mit der ebenfalls von ihr kontrollierten Ankerbrotfabrik durchführte; 1972 wurde der Floridsdorfer Betrieb endgültig geschlossen.

Literatur: HelgeZoitl, Gegen den Brotwucher! Die Gründung der Wiener Hammerbrotwerke. Zeitgeschichte, 1988 / 16, 3.