Volksbildungsheime

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Wissen ist Macht und Bildung macht frei! 
 

TF_Volksbildungsheime_Kurssaal_Urania_Oesterr_VHS_ArchivWas wie das Credo der heutigen Informationsgesellschaft klingt, sind Worte aus dem Munde des Sozialisten Wilhelm Liebknecht, formuliert im Jahr 1872 in Dresden.
 
Die Wurzeln der Volksbildung in Österreich reichen bis weit ins 19. Jahrhundert zurück; ein Meilenstein war die Gründung des Wiener Volksbildungsvereins durch den Kunsthistoriker Eduard Leisching und den Nationalökonomen (und späteren Bundespräsidenten) Michael Hainisch im Jahr 1887.
 
Untrennbar verbunden mit dem Beginn der institutionalisierten Erwachsenenbildung ist auch der Name Ludo Moritz Hartmann

 

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Der sozialdemokratische Politiker und Professor für Geschichte an der Universität Wien initiierte, nachdem er bereits zuvor die sogenannten "Volkstümlichen Universitätsvorträge" und den v.a. naturwissenschaftlich-technisch orientierten Frauenbildungsverein Athenäum ins Leben gerufen hatte, gemeinsam mit Emil Reich 1901 das Volksheim Ottakring, das ab 1905 auch über ein eigenes Haus verfügte.

Zwischen 1909 und 1911 wurde das Haus in der Stöbergasse errichtet, und 1910 erfolgte die Gründung der Urania. Damit wurden wissenschaftliche Erkenntnisse erstmals für breite Bevölkerungsschichten verständlich zugänglich gemacht.

Viele später berühmt gewordene Wissenschafter, darunter auch Nobelpreisträger, unterrichteten an der "Universität der kleinen Leute", wie etwa Ludwig Boltzmann, Otto Wagner, Arthur Schnitzler, Sigmund Freud, Hans Kelsen oder Erwin Schrödinger.

Im Jahr 1930 gab es an den Wiener Volkshochschulen 600 Abendkurse, die von bildungshungrigen Arbeitern und Angestellten geradezu gestürmt wurden. Ludo Moritz Hartmann war der festen Überzeugung, dass Demokratie und Volksbildung untrennbar miteinander verbunden seien, denn das Denkenlernen [müsse] das Ziel und der Zweck eines jeden echten Volksbildungswesens sein. Wer gelernt hätte, wissenschaftlich – und das heißt, frei von Vorurteilen – zu denken und zu entscheiden, wäre auch auf politischem Gebiet in der Lage, eigene Entscheidungen zu treffen.

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Seine größte Blüte erlebte das Volksbildungswesen in der Zwischenkriegszeit. Das "Rote Wien" verknüpfte mit der Förderung der Bildung einen umfassenden politischen Anspruch und sorgte für eine entsprechende materielle Ausstattung der Volkshochschulen, die den Vergleich mit Universitätsinstituten nicht zu scheuen brauchten. 

Ganz im Sinne der Wissenschaftseuphorie der Zeit, sollte der "Neue Mensch", den der Austromarxismus anstrebte, nicht zuletzt auch durch eine verbesserte Allgemeinbildung geschaffen werden. Der demokratische Charakter der Bildungseinrichtungen, der ein gleichberechtigtes Zusammenwirken von Lehrenden und Lernenden ermöglichte, sollte dazu beitragen.

Nach dem Verbot der sozialdemokratischen Organisationen im Februar 1934 entwickelte sich das Volksbildungswesen zu einer Sammelstelle des Untergrunds.

Nach Kriegsende galt es zunächst, die zerstörten Strukturen wieder aufzubauen. Seit 1949 fungiert der Verband Wiener Volksbildung als Dachverband von mittlerweile 18 unabhängigen Volkshochschulen, die dezentral in allen 23 Wiener Gemeindebezirken an über 150 Veranstaltungsorten tätig sind. Allein in Wien belegen jährlich etwa 150.000 kreativ- und bildungshungrige Menschen die thematisch breit gefächerten Kurse und Vorlesungen.

Literatur (Auswahl): Gerhard Bisovsky, Arbeit & Bildung, 1987; ders., Eine Bilanz, aber kein Schlussstrich, 1938/1988, 1988; Gerhard Bisovsky und Christian Stifter (Hrsg.), "Wissen für alle“. Beiträge zum Stellenwert von Bildung in der Demokratie, 1996; Elisabeth Brugger (Hrsg.), Die 3. Karriere. Ideen zur Gestaltung der reifen Jahre, 1996; dies., (Hrsg.), Engagement, Hobby oder Karriere?, 1991; dies., (Hrsg.), FrauenForschung. Wissenschaft ist (auch) "weiblich", 2003; Wilhelm Filla, Wissenschaft für alle – ein Widerspruch ?, 2001; Adolf Gaisbauer, Jüdische Volkshochschule in Wien 1934-1938, 1988; Albert Ganser, Lehren in der Erwachsenenbildung, 1990.

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