Aus: Martha und Antonia

Else Feldmann

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Ich bin jetzt schon einige Zeit dabei, habe mich an manches gewöhnt. Ich bin die einzige, die in den letzten Jahren nicht gewechselt hat. Mein Gott, ein Tag geht wie der andere hin. Mir ist, als wäre mein Leib eine Maschine. Sommer und Winter, Herbst und Frühling kam ich bei Einbruch der Dunkelheit hierher – über den schmutzigen Hof, immer auf meinen Platz an der Fensterseite. Ich bediente die Männer mit meinem Körper, benahm mich höflich, im übrigen fertigte ich sie rasch ab. Manchmal empfand ich Ekel, dann hieß es, sich beherrschen, das mit in den Kauf nehmen, aber meist empfand ich nichts, wie man in einer Fabrik nichts empfindet. Keinen einzigen habe ich bis heute im Gedächtnis behalten. Für Liebe und Freundschaft meiner Besucher habe ich kein bißchen Gefühl. Ich sehe die Gestalten kommen und gehen, kommen und gehen. [...] Natürlich vergeht kein einziger Tag, an dem sich nicht Grausiges ereignet, aber auch an dieses Grausige habe ich mich gewöhnt. Ich bin ein Mechanismus. Manchmal ist es mir, als müßte ich aufschreien, so daß alle Straßen davon, daß die Nacht selbst erzittert. Aber es wird doch nichts wie ein Achselzucken daraus.

Martha und Antonia, 1933/1997, Milena Verlag.