Justizpalastbrand

15. Juli 1927

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Am 30. Januar 1927 wurde im burgenländischen Ort Schattendorf eine Gruppe Schutzbündler, die von einer Kundgebung zum Bahnhof marschierte, um von dort in die jeweiligen Heimatorte zurückzufahren, aus einem Gasthaus heraus beschossen. Dabei starben der Kriegsinvalide Matthias Csmarits aus Klingenbach und der knapp achtjährige Josef Grössing aus Schattendorf.

TF_Justizpalast_davor_VGA8Die meisten Wiener Großbetriebe stellten aus Protest gegen diese Mordtat ihre Arbeit für mehrere Stunden ein, und am 2. Februar organisierten Partei und Gewerkschaften einen vierstündigen Generalstreik.

Die Täter von Schattendorf – der Wirt der Frontkämpferkneipe mit seinen Söhnen und seinem Schwager – konnten rasch ermittelt und vor Gericht gestellt werden. Der Prozess begann am 5. Juli 1927 und endete am Abend des 14. Juli mit dem völlig unerwarteten Freispruch der Täter.
Bereits in den Morgenstunden des nächsten Tages kam es vor dem Justizpalast zu Demonstrationen sozialdemokratischer Arbeiter aus den Wiener Außenbezirken.
 

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Die sozialdemokratische Führung wurde von den Ereignissen völlig überrascht, es gab deshalb auch keinerlei Vorkehrungen für einen regulären Ablauf der Kundgebungen.

Nachdem die Demonstranten in der Nähe des Parlaments einen kleinen Trupp Polizisten verjagt hatten, ließ Polizeipräsident Schober berittene Polizei mit blanken Säbeln gegen die Arbeiter vorgehen.
Nun stürmte die aufgebrachte Menge den Justizpalast; Aktenberge wurden in Brand gesetzt und bald schlugen Flammen aus dem Gebäude. Auch eine Polizeiwache und das Redaktionsgebäude der christlichsozialen "Reichspost" gingen in Flammen auf.
 
TF_BrennenderJustizpalast_1927_07_15_OEGB_ArchivObwohl die Parteiführung sich immer noch intensiv bemühte, weitere Ausschreitungen zu verhindern, eröffneten nun 600 bewaffnete Polizisten das Feuer auf die Menge.

Die genaue Zahl der Opfer des 15. Juli konnte niemals ermittelt werden. Eindeutig belegt sind 89 Tote, darunter fünf Angehörige der Exekutive; die meisten übrigen Opfer waren Demonstranten, aber auch einige unbeteiligte Passanten. Mehr als 600 Personen wurden schwer, mehr als tausend leicht verletzt.

Im Anschluss an die blutigen Unruhen vor dem Justizpalast kam es in Hernals zum Sturm auf mehrere Dienststellen der Polizei.

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Zuerst wurde die Wachstube in der Rosensteingasse 26 mit Steinen beworfen, dann das Wachzimmer in der Hernalser Hauptstraße 158 angegriffen und kurz nach Mitternacht besetzt; Möbel und Akten wurden auf der Straße aufgetürmt und angezündet. Bei der "Rückeroberung" des Wachzimmers durch die Polizei wurden mehrere Demonstranten verletzt. Als die Menge sich nun wieder in die Rosensteingasse wandte, eröffnete die Polizei auch hier das Feuer; zwei Menschen starben, viele wurden verletzt.

Die Arbeiter protestierten gegen dieses Gemetzel mit einem eintägigen Generalstreik, die Eisenbahner streikten zwei Tage lang – ohne Erfolg.

Im Parlament erklärte Bundeskanzler Ignaz Seipel: Verlangen Sie nichts vom Parlament und von der Regierung, was den Schuldigen gegenüber milde erscheint.

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Der 15. Juli 1927 war ein entscheidender Tag für den späteren Untergang der Ersten Republik. Er zeigte, dass die Regierung sich rückhaltlos auf die Exekutive verlassen konnte, und dass auch die Wiener Polizei bereit war, mit allen Mitteln gegen die Arbeiter vorzugehen.

Eine Folge der Julirevolte war auch das Anwachsen der Heimwehr-Bewegung. Die sozialdemokratische Führung sah an diesem 15. Juli ihre Hauptaufgabe darin, einen drohenden Bürgerkrieg zu verhindern: Wir sind nicht im Kampf besiegt worden, wir sind vielmehr dem Kampf ausgewichen, lautete die Devise.

Im historischen Rückblick wird klar, dass das Schattendorfer Urteil den Auftakt zum Untergang der Ersten Republik darstellte und dass die reaktionären Kräfte den späteren Bürgerkrieg bereits an diesem Tag gewonnen hatten.

Der ausgebrannte Justizpalast wurde in den Jahren 1928 bis 1931 in etwas veränderter Form wiederaufgebaut.

An die Opfer des 15. Juli erinnert das Mahnmal für die Opfer des 15./16. Juli 1927 am Wiener Zentralfriedhof. Zum 80. Jahrestag der Ereignisse wurde am 11. Juli 2007 eine Gedenktafel in der Halle des Justizpalastes enthüllt; der Text stammt von Bundespräsident Heinz Fischer selbst:

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"Bei gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Anhängern des Republikanischen Schutzbundes und der Frontkämpfervereinigung im burgenländischen Ort Schattendorf am 30. Jänner 1927 wurden zwei unschuldige Menschen getötet. Die Täter wurden freigesprochen. Im Zuge einer gewaltsamen Demonstration gegen dieses Urteil wurde der Justizpalast in Brand gesetzt. Die Polizei erhielt Schießbefehl, und 89 Personen kamen ums Leben. Die Ereignisse dieser Zeit, die schließlich im Bürgerkrieg des Jahres 1934 mündeten, sollen für alle Zeiten Mahnung sein."

Literatur: Josef Hindels, 15. Juli 1927, 1977; Sigrid Kiyem, Der Wiener Justizpalastbrand am 15. Juli 1927. Darstellung in Quellen und Medien, 2001; Norbert Leser und Paul Sailer-Wlasits (Hrsg.), 1927 – als die Republik brannte, 2002; Karin Masek, Schattendorf und der Justizpalastbrand 1927 im Spiegel der Wiener Tagespresse, 2004; Günther Steinbach, Kanzler, Krisen, Katastrophen, Die Erste Republik, 2006; Gerald Stieg, Frucht des Feuers. Canetti, Doderer, Kraus und der Justizpalastbrand, 1990.