Die Ringstraße des Proletariats

  • 01_vorwaets_digi

    Wir beginnen unseren Spaziergang beim 1907 nach Plänen von Hubert und Franz Gessner errichteten Vorwärts-Verlagsgebäude (U4-Station Pilgramgasse), das bis 1934 Sitz der Parteizentrale war und in dem bis zu ihrer Übersiedlung im Jahr 1986 die inzwischen eingestellte Arbeiter-Zeitung produziert wurde. Die beiden Steinfiguren stammen von Anton Hanak (1910). Seit 1989 beherbergt das Gebäude u.a. den Verein für Geschichte der Arbeiterbewegung.

  • Margaretenplatz

    Durch die Sonnenhofgasse, in der sich auf Nummer 6 die Sozial- demokratische Kunststelle befand, gelangt man in die Schönbrunner Straße und von hier über die Pilgramgasse zum Margaretenplatz, wo auf Nummer 7 eine Gedenktafel an die frühere Zentrale der Tschechoslowakischen Sozialistischen Partei Österreichs erinnert.

  • 02_altmann

    Wir folgen der Margaretenstraße stadtauswärts, biegen links in die Zentagasse ein und gehen bis zur Ecke Siebenbrunnengasse, wo an der ehemaligen Strickwarenfabrik "Altmann" interessante Figuren im typischen Stil der 20er Jahre zu sehen sind. Wir folgen dem Verlauf der Siebenbrunnengasse, und wenden uns links in die Stöbergasse, die heute vor allem durch die Volkshochschule Polycollege bekannt ist.

  • 03_heinehof

    Gegenüber der traditionsreichen Bildungsstätte befindet sich der in den Jahren 1925/26 nach Plänen von Otto Prutscher errichtete und mittlerweile frisch renovierte Heinehof, der eine ungewöhnliche Kombination aus historisierenden und modernen Stilelementen aufweist.

  • 04_wirtschaftmuseum

    Über die Stollberg- und die Spengergasse kommen wir in die Vogelsanggasse, wo sich auf Nummer 36 das 1924 von Otto Neurath gegründete Österreichische Gesellschafts- und Wirtschaftsmuseum befindet. Ziel des Museums ist es weiterhin, in der Tradition Otto Neuraths komplexe gesellschaftliche und wirtschaftliche Fakten und Zusammenhänge anhand einfacher und verständlicher graphischer Darstellungen zu erklären.

  • 05_arbeitsamt

    Wir überqueren die Reinprechtsdorfer Straße, und gelangen über die Siebenbrunnenfeldgasse zur Embelgasse, an deren Anfang sich das ehemalige Arbeitsamt für die Metall- und Holzindustrie befindet. Dieses bemerkenswerte und ungewöhnlich moderne Gebäude wurde in den Jahren 1928-1930 von den Architekten Hermann Stiegholzer und Herbert Kastinger errichtet und nach jahrzehntelanger sträflicher Vernachlässigung 1998/99 zu einem Wohn- und Bürogebäude umgestaltet.

  • 06_koernerhof

    Unübersehbar ist das 20stöckige Hochhaus des in den Jahren 1951 bis 1955 auf dem Gelände des früheren Heu-, Stroh- und Pferde- marktes errichteten Theodor-Körner-Hofes, der mit Abstand größten Wohnanlage Margaretens (1.356 Wohnungen). Dieses erste große Wohnbauprojekt nach dem Zweiten Weltkrieg ging mit seiner lockeren Verbauung deutlich von der Blockbauweise der kommunalen Wohnbauten der Ersten Republik ab.

  • 09_popp_hof_alt_digi

    Dem Verlauf des Margaretengürtels folgend, gelangen wir zu den "Zwillingsbauten" Julius-Popp-Hof (Nummer 76-80) und Herweghhof (Nummer 82-88), beide vom Architektenteam Heinrich Schmid und Hermann Aichinger in den Jahren 1925 bis 1927 errichtet. Wie an allen Bauten dieses vielbeschäftigten Duos sind auch hier die sorgfältig gestalteten Details, wie Laternen, Pergolen, Bänke, Klopfstangen etc. ebenso zu beachten, wie die dekorativen Erker- fenster. Bemerkenswert sind auch die langen Arkadenreihen zum Gürtel mit ihren dahinterliegenden Läden.

  • 08_baerenbrunnen

    In der Grünanlage zwischen den beiden Höfen befindet sich der dekorative "Bärenbrunnen" von Hanna Gärtner aus dem Jahr 1928, der eine Bärin mit ihrem Jungen zeigt; an der Schale befinden sich Sternzeichen.

  • 09_matteottihof

    Den Kern der am Gürtel gelegenen Gemeindebauten bildet der Matteottihof, der selbst zwar keine Fassade zum Gürtel besitzt, jedoch deutlich auf seine Nachbarbauten ausgerichtet und städte- baulich sehr geschickt in das Gesamtensemble eingepasst ist. Die monumentale Toreinfahrt über der Fendigasse mit dem darüber- liegenden Wohnblock und den vorgelagerten Geschäftslokalen markiert wie ein Stadttor den Eintritt in eine urbane Zone. Der Hof wurde nach dem früheren Generalsekretär der Sozialistischen Partei Italiens, Giacomo Matteotti (1885–1924), benannt, der am 10. Juni 1924 in Rom von einer faschistischen Schlägerbande ermordet wurde. An der Ecke Fendigasse/Einsiedlergasse ist ein interessantes Sgraffito erhalten geblieben, das eine Mutter mit Kindern in futuristischer Stadtlandschaft zeigt.

  • 10_metzleinstalerhof

    Am Margaretengürtel 90-98 folgt nun der Metzleinstaler Hof, der unmittelbar nach Ende des Ersten Weltkriegs zunächst noch als Mietshaus konzipiert, von der Gemeinde Wien übernommen und 1920 schließlich als erster "echter" Gemeindebau Wiens errichtet wurde. Vollendet wurde die Anlage in den Jahren 1923/24 von Hubert Gessner, der mit diesem insgesamt 252 Wohnungen umfassenden Hof den Grundstein für die späteren monumentalen "Volkswohnungs­paläste" legte. Der zweite Bauabschnitt weist reiche keramische Verzierungen in Form von farbigen Majolikareliefs an Fenstern und Fassaden auf. Darüber hinaus machte erst Gessner die Stiegenhäuser vom Hof aus zugänglich und schuf damit eine wichtige Baueigenart nahezu aller späteren Wiener Gemeindebauten.

  • 12_reumann_hof

    Architektonischer Höhepunkt der "Ringstraße des Proletariats" ist zweifellos der in den Jahren 1924-1926 ebenfalls nach Plänen von Hubert Gessner errichtete Reumannhof am Margaretengürtel 100-110. Die nach dem ersten sozialdemokratischen Bürgermeister der Stadt benannte Anlage bildet mit ihrer 180 Meter langen Fassade, dem eindrucksvollen Ehrenhof (mit Brunnen und Reumann-Büste) und den unzähligen, liebevoll gearbeiteten Details den Kulminationspunkt des von Gessner propagierten "Volkswohnpalastes". Der imposante Mittelblock, in dessen Erdgeschoss sich der Kinder- garten befindet, war von Gessner ursprünglich als 16stöckiges Hochhaus konzipiert worden und hätte damit Wiens erstes Hochhaus werden sollen.

  • 13_fuchsenfeldhof

    Wir unternehmen nun einen Abstecher in den benachbarten 12. Bezirk. Durch den Haydnpark, dem früheren Hundsthurmer Friedhof, in dem noch der Originalgrabstein des Komponisten zu sehen ist, und die Flurschützstraße entlang gelangen wir zur Längenfeldgasse, wo sich auf Nummer 68 der in den Jahren 1922-1925 wiederum nach Plänen von Schmid/Aichinger errichtete Fuchsenfeldhof befindet. Die insgesamt 481 Wohnungen zählende Anlage enthält auf vier Höfen zahlreiche Gemeinschaftseinrichtungen. Ihr Zentrum bildete der von der Karl-Löwe-Gasse durch einen großen Torbogen zugängliche "Ehrenhof" mit Kindergarten und Planschbecken (heute Spielplatz).

  • Reismannhof

    Ursprünglich bildete der Fuchsenfeldhof mit dem vom selben Architektenteam vis à vis errichteten Reismann-Hof ein einheitliches Ganzes; durch den modernen Straßenverkehr ist dieser Eindruck jedoch weitgehend verlorengegangen. Der Reismann-Hof präsentiert sich als große, verschachtelte Anlage mit mehreren Innenhöfen, geschwungenen Straßen und unregel- mäßigen Platzbildungen. Eindrucksvoll ist der am zentralen Haupt- platz gelegene turmartige Mitteltrakt.

  • 15_liebknechthof

    Ganz in der Nähe, Längenfeldgasse 19, liegt der in den Jahren 1926/27 nach Plänen von Karl Krist errichtete und nach den Führern der deutschen Arbeiterbewegung, Wilhelm Liebknecht und seinem 1919 ermordeten Sohn Karl Liebknecht benannte Liebknechthof. Der Bau besticht durch seine stark expressive Architektur, wobei sich im Inneren der verschachtelten Anlage durchaus eine "heimelige" Atmosphäre breitmacht.

  • 14_bebelhof

    Ebenfalls nach einem deutschen Sozialdemokraten ist der Ecke Längenfeldgasse, Steinbauergasse gelegene Bebelhof benannt. Architekt war der spätere Erbauer des Karl-Marx-Hofes, Karl Ehn (1925-27). Die große, repräsentative Anlage mit Eckturm gehört zweifellos zu den sehenswertesten Gemeindebauten nicht nur des 12. Bezirks. Die Eingangsfront des Hofes ist weit zurückversetzt und wird durch zwei mächtige Fahnenmasten flankiert. Die großen Eckbalkone unterstreichen den konstruktivistischen Charakter des imposanten Gebäudes, der im Innenhof seine Fortsetzung findet.

  • Lorenshof_galerie_digi

    Gleich nebenan, auf Längenfeldgasse 14-18, liegt der 1927/28 errichtete und nach dem Wienerlieddichter Carl Lorens ("Trink ma no a Flascherl Wein") benannte Lorenshof, eine großen Wohnanlage mit ausdrucksstarker Eckgestaltung und reichem figuralen Schmuck. Die schlichte Einfachheit der oberen Geschosse kontrastiert aller- dings stark mit dem unruhigen, expressionistisch wirkenden Sockel- geschoss, das mit seinem Klinkermauerwerk und den malerischen Spitzbögen geradezu "neugotisch-romantisch" und überladen wirkt.

  • 18_froehlichhof

    Über die Arndtstraße stadteinwärts gelangen wir nun zur Malfatti- gasse, wo sich auf Nummer 1 der nach der Braut des österreichischen Nationaldichters Franz Grillparzer, Katharina Fröhlich, benannte Fröhlich-Hof befindet. Die erst 1929 fertiggestellte Anlage geht mit ihrer nüchternen und funktionalen Architektur vom romantisch-verklärenden Typus früherer Bauten ab, ohne deshalb eintönig zu sein. Sehr nett und geradezu verspielt wirkt der im geräumigen Innenhof gelegene Brunnen mit vier Putti und Fröschen als Wasserspeier.

  • 11_gloeckelhof

    Noch deutlicher fällt die architektonische Absage an die romantisierende Bauweise beim Leopoldine-Glöckel-Hof auf, den wir über die Arndtstraße am Gaudenzdorfer Gürtel 11 erreichen. Der Architekt der 1931/32 errichteten Anlage, Josef Frank, war ein entschiedener Gegner des "Volkswohnpalastes" und schuf hier ein markantes Gegenstück zum schräg gegenüberliegenden Reumann- hof, das auf jeden Dekor verzichtet. Das subtile Farbkonzept in zarten Pastellfarben mit abwechselnd dunklen und hellen Fensterumrahmungen, das dem Hof seinen Kosenamen "Aquarellhof" oder "Regenbogenhof" ein-getragen hatte, blieb bei der Renovierung der Anlage im Jahr 1983 leider unbe- rücksichtigt, weshalb der Hof lange Jahre eintönig und grau wirkte. Erst die Renovierungsarbeiten im Jahr 2007 griffen wieder auf die ursprüngliche Färbelung zurück. Ähnlich nüchtern präsentiert sich auch der benachbarte, 1928/29 nach Plänen von August Hauser errichtete Haydnhof am Gaudenzdorfer Gürtel 15.

  • 21_domeshof

    Auf der anderen Seite des Gürtels, zurück im 5. Bezirk, liegt der in den Jahren 1928-1930 vom deutschen Architekten Peter Behrens errichtete Franz-Domes-Hof (Margaretengürtel 126). Die moderne, ursprünglich zum Gürtel hin offene Anlage mit ihrem schönen Straßenhof kommt ohne jedes Pathos aus. Nicht so die Plastik "Der Lichtbringer" mit der Inschrift "Licht in der Wohnung – Sonne im Herzen" von Mario Petrucci (1952).

  • 16_eisenbahnerheim

    Letzte Station auf unserem Rundgang am Boulevard des "Roten Wien" ist das bereits in den Jahren 1912/13 nach Plänen Hubert Gessners in der Margaretenstraße 166 errichtete Haus der Gewerkschaft der Eisenbahner. Noch heute sind an den Fassaden des Eisenbahnerheims geflügelte Räder als Eisenbahnerembleme sowie ein über zwei Geschosse reichendes Relief mit einer allegorischen Darstellung der Semmering- bahn und einer Inschrift zur Baugeschichte zu sehen. Von hier sind es nur noch wenige Schritte zur U4-Station Margaretengürtel. Hinweis: Ein ausführlicher Spaziergang durch Margareten und die "Ringstraße des Proletariats" findet sich auch in dem Buch "Rotes Wien" von Inge Podbrecky, erschienen im Falter-Verlag.