Mieterschutz

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Der Erste Weltkrieg verschärfte die ohnedies prekäre Situation am Wiener Wohnungsmarkt beträchtlich. Kurz nach Kriegsbeginn stiegen die Mieten an und viele Menschen fanden sich auf der Straße wieder – was v.a. im Fall hunderter delogierter Soldatenfrauen zu erheblicher Unruhe führte. Gleichzeitig ruhte die private Bautätigkeit, da das Kapital in der Rüstungsindustrie wesentlich profitabler angelegt werden konnte.

Um den sozialen Frieden sicherzustellen, wurde am 26. Januar 1917 eine kaiserliche "Verordnung über den Schutz der Mieter" erlassen, die vorerst mit 31. Dezember 1918 befristet war. Am 20. Januar 1918, im vierten Kriegswinter, wurde der Mieterschutz in einer zweiten Verordnung erweitert und kurz vor dem Ende der Monarchie, am 26. Oktober 1918, erfolgte eine dritte Verordnung über den Mieterschutz, die zeitlich nicht mehr beschränkt und damit praktisch Mietrecht geworden war.

Als nach Kriegsende die Mietzinseinnahmen der Hausherren durch den Mietzinsstopp und die Inflation praktisch zum Erliegen kamen, versuchten deren Interessensvertretungen einen Abbau des Mieterschutzes zu erreichen. Im Gegenzug organisierte die bereits im Jahr 1911 gegründete Mietervereinigung Massenproteste der Mieter zur Beibehaltung des Mieterschutzes. Schließlich konnte ein politischer Kompromiss erzielt werden, der im neuen Mietengesetz vom 7. Oktober 1922 seinen Niederschlag fand. Die Miete wurde in drei Komponenten gegliedert, und zwar in den Grundzins, den Instandhaltungszins und die Betriebskosten.

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Erstmalig wurde ein Kündigungsschutz eingeführt und die Mietervertreter erhielten das Recht zur Einsichtnahme in die Abrechnungen der Hausherren. "Der Mieter" berichtete im Januar 1923: Das neue Mietengesetz verbürgt für alle Zeiten die Rechte der Mieter und ist wohl das beste Mietengesetz in Europa. 

Viele Hausherren fühlten sich von der Politik allerdings betrogen und organisierten "Kampfmaßnahmen" (Absperren der Wasserleitungen und der Hausbeleuchtung, Abmontieren der Briefkästen etc.). Als Polizeipräsident Johann Schober die Hausherren darauf hinwies, dass er zwar Verständnis für ihre Lage habe (!), die geplanten Maßnahmen aber ungesetzlich seien, brach der Streik bald zusammen.

Nachdem auch der christlichsoziale Kanzler Ignaz Seipel eine Rückkehr zu der Mietengesetzgebung der Vorkriegszeit gefordert hatte, stand die Nationalratswahlkampagne des Jahres 1923 ganz im Zeichen der Auseinandersetzung um den Mieterschutz. Mit der Verschärfung der innenpolitischen Gegensätze nach 1927 verstärkten sich auch die Angriffe der Konservativen auf den Mieterschutz. Die gesetzliche Änderung des Jahres 1929 bedeutete zwar keine Beseitigung des Mieterschutzes, aber eine Schwächung der Kontrollrechte der Mieter und eine teilweise Wiederherstellung der Verfügungsgewalt des Hausbesitzers über das Mietobjekt.

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In den letzten Jahrzehnten geriet der europaweit einzigartige Mieterschutz wiederholt ins Visier der Hausbesitzerlobby. 1968 wurden die Mietzinshöhen freigegeben, und auch die Einhebung von Ablösen war fortan erlaubt. Durch diese Maßnahme erhoffte man sich "eine Belebung des Marktes". Diese Hoffnung wurde allerdings nicht erfüllt und im Jahr 1974 musste die Miete für schlechter ausgestattete Wohnungen (Substandardwohnungen) erneut geregelt werden, da besonders für diese Wohnungen weit überhöhte Mieten verlangt worden waren.

Im Jahr 1982 wurde das neue Mietrechtsgesetz mit Kategoriemieten eingeführt. Die dadurch erzielte Erleichterung war jedoch nur von kurzer Dauer, da schon nach wenigen Jahren nur noch Kategierie-A-Wohnungen auf den Markt kamen. 1994 kam es zu einer weiteren Novellierung des Mietrechtes.

Statt der Kategoriemieten wurden nun Richtwertmietzinse mit verschiedenen Grundrichtwerten für jedes Bundesland und unzähligen Zu- und Abschlagsvarianten eingeführt. Die Mietrechtsnovelle des Jahres 2000 brachte eine enorme Ausweitung der Befristungsmöglichkeiten und höhlte den Kündigungsschutz weiter aus.