Architekten des "Roten Wien"

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Die insgesamt 382 während der Ersten Republik errichteten Gemeindebauten wurden von nicht weniger als 199 verschiedenen Architekten geplant. Stilistisch entstand zwar kein eigener "proletarischer Architekturkanon" – es gab bestenfalls eine klare Absage an die "Verlogenheit" der Scheinfassaden an den Zinshäusern der Jahrhundertwende –, und dennoch setzte sich ein unverkennbarer Stil durch. Trotz individueller und zeitbedingt "modischer" Unterschiede erkennt man die Wiener Gemeindebauten der Zwischenkriegszeit meist "auf den ersten Blick". Besonders charakteristisch für die großen Wohnhöfe sind ihre expressive Architektur und das Vorhandensein gemeinschaftlicher Sozialeinrichtungen (Waschküchen, Badehäuser, Kindergärten, Lebensmittelgeschäfte, Bildungseinrichtungen, Fürsorge- und Gesundheitseinrichtungen, Arztpraxen etc.), die eine eigene, autarke Infrastruktur bildeten.

Bis etwa 1922 wurden die meisten Bauten vom Stadtbauamt entworfen, wo mehrere Otto-Wagner-Schüler tätig waren; später wurden zunehmend auch freie Architekten beschäftigt, von denen sich viele auch mit Fragen der Inneneinrichtung und des Designs beschäftigten.

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Diese Architekten des "Roten Wien" reflektieren in ihrer sozialen und "nationalen" Herkunft – im Kontext der österreichisch-ungarischen Monarchie – getreu die gesellschaftlichen Verhältnisse dieses zu Ende gehenden Staates.

Sieht man vom prägenden Einfluss Wagners auf viele seiner Schüler ab, gehören die Schöpfer der Gemeindebauten auch keiner einheitlichen "Schule" an, weshalb sich alle wesentlichen Stilrichtungen der damaligen Epoche in den Wiener Gemeindebauten wiederfinden, vom Historismus und Neoklassizistismus über den Wiener Sezessionismus, den "nordischen" Jugenstil und den sogenannten "Heimatschutzstil" bis hin zur "Neuen Sachlichkeit" und zum Konstruktivismus.

Aber auch die persönlichen Lebensläufe der Baukünstler spiegeln das Schicksal des Landes wider. Von der "einfachen" Zwangspensionierung nach 1934 bzw. 1938 bis zum Berufsverbot, von der Vertreibung bis zur physischen Auslöschung, von der geschmeidigen Anpassung an Ständestaat und Nationalsozialismus bis zur ideologisch motivierten Mittäterschaft, von der verweigerten Rückkehr bis zur schmerzlosen Entnazifizierung erzählen diese Biographien auch die Geschichte Österreichs in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts.

Einen hervorragenden Überblick über die österreichischen Architekten des 20. Jahrhunderts bietet Helmut Weihsmanns 2005 erschienenes Werk "In Wien erbaut", das auch die Grundlage für die hier aufgeführten Kurzbiographien bildet.