Österreichischer Widerstand 1938 – 1945

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Der kampflose Untergang Österreichs mit dem "Anschluss" an Deutschland am 13. März 1938, die darauf folgende nationalsozialistische Machtergreifung, die mit einer großangelegten Propagandakampagne und umfassenden Verfolgungsmaßnahmen einherging, aber auch verschiedene anschlussfreundliche Erklärungen österreichischer Institutionen und Persönlichkeiten (v.a. die der österreichischen Bischöfe und ein Zeitungsinterview von Karl Renner) führten dazu, dass sich ein breiterer Widerstand gegen den Nationalsozialismus erst im Sommer und Herbst 1938 bilden konnte.

Im Unterschied zu anderen besetzten Ländern hatten die Widerstandskämpfer in Österreich jedoch in einer von Denunzianten und fanatischen Regimeanhängern durchsetzten Umwelt zu wirken. Die wichtigsten organisierten Widerstandgruppierungen gehörten der Arbeiterbewegung und dem katholisch-bürgerlichen Lager an. Innerhalb dieser beiden Lager vermischten sich im Widerstand die weltanschaulichen Grenzen zwischen Sozialdemokraten, Kommunisten und anderen Linksgruppen einerseits und ehemaligen Christlichsozialen und Heimwehrangehörigen sowie Monarchisten und "unpolitischen" Katholiken andererseits.

Die verschiedenen Widerstandsgruppen waren von ganz unterschiedlichen politischen, ideologischen, religiösen, sozialen, ethischen oder österreichisch-patriotischen Motiven geleitet. Wesentlichste Aktivität des Widerstandes war die Verbreitung illegaler Druckwerke, wie Streuzettel, Flugblätter und Zeitschriften. Damit sollte das Meinungsmonopol des NS-Regimes durchbrochen werden.

Ab 1942 bildeten sich, meist auf Initiative von Kommunisten, auch einzelne bewaffnete Widerstandsgruppen (v.a. slowenische Partisanen in Südkärnten sowie die Gruppe Leoben-Donawitz). Gegen Kriegsende formierten sich erste überparteiliche Widerstandsgruppen, deren Aktivisten z.T. aus früher verfeindeten Lagern stammten und vom Willen beseelt waren, Österreich nach dem Krieg gemeinsam neu aufzubauen. Die größte dieser Widerstandsgruppen war die Gruppe 05, die mit der militärischen Widerstandsgruppe im Wehrkreiskommando XVII in Wien (unter der Leitung von Major Carl Szokoll) in Verbindung stand (Karl Biedermann, Alfred Huth, Rudolf Raschke).

Der nicht organisierte Widerstand bzw. das individuelle Oppositionsverhalten reichte vom verbotenen Abhören ausländischer Sender bis hin zur Sabotage an kriegswichtigen Einrichtungen und zur Hilfeleistung für verfolgte Personen (Juden, Fremdarbeiter, Kriegsgefangene und andere).

Insgesamt wurden etwa 2.700 Österreicher als aktive Widerstandskämpfer zum Tod verurteilt und hingerichtet; 32.000 Österreicher starben als Widerstandskämpfer und Opfer präventiver Verfolgung in Konzentrationslagern und Gefängnissen, insbesondere in Gestapohaft; etwa 15.000 Österreicher kamen als alliierte Soldaten, als Partisanen oder im europäischen Widerstand ums Leben. Rund 100.000 Österreicher waren aus politischen Gründen inhaftiert.

Die Befreiung Österreichs erfolgte zwar fast ausschließlich durch fremde Streitkräfte, doch diente der Widerstand in den Jahren der Besetzung der nachträglichen politisch-moralischen Rehabilitierung des Landes, besonders in Hinblick auf den in der "Moskauer Deklaration" der Alliierten von den Österreichern geforderten eigenständigen Beitrag zu ihrer Befreiung. Das in der gemeinsamen Erfahrung des Widerstands, der Verfolgung und der Emigration gewachsene Bekenntnis zu Österreich wurde zu einem der Grundpfeiler der Zweiten Republik. 

Literatur: Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hrsg.), Widerstand und Verfolgung 1934–45 in österreichischen Bundesländern (Burgenland, Niederösterreich, Oberösterreich, Salzburg, Tirol, Wien); Siegwald Ganglmair, Widerstand und Verfolgung in Österreich 1938–1945, 1988; Walter Göhring, Anpassung und Widerstand. Arbeiterkammern und Gewerkschaften im österreichischen Ständestaat, 2001; Stefan Karner und Karl Duffek (Hrsg.), Widerstand in Österreich 1938-1945, 2007; Radomir Luža, Der Widerstand in Österreich 1938–45, 1985; Wolfgang Muchitsch, Mit Spaten, Waffen und Worten. Die Einbindung österreichischer Flüchtlinge in die britischen Kriegsanstrengungen 1939–1945, 1992; Arnold Paucker, Standhalten und Widerstehen. Der Widerstand deutscher und österreichischer Juden gegen die nationalsozialistische Diktatur, 1995; Raphael Pock, Der militärische Widerstand in Österreich, 2001; Emmerich Talos (Hrsg.), NS-Herrschaft in Österreich 1938–45, 1988; Wolfgang Treichl, Am Ende war die Tat, 1992.